Lockdown Kino-Newsletter 2021 Nr. 3

19.02.2021

«Es gibt nichts Besseres als ins Kino zu gehen, dabei eine andere Welt zu betreten und alles zu vergessen, was draussen passiert» Warwick Davies

Die Kinobranche in der Schweiz in Schockstarre!

 

Eine Hiobsbotschaft jagt die andere. Unzählige Filmstarts wurden und werden seit Pandemiebeginn verschoben oder die Filme landen direkt in den Streaming Diensten. Blickpunktfilm meldet: «Warner kürzt Auswertungsfenster in Deutschland». Sky wird in Deutschland und in der Schweiz Wonder Woman 1984 ab 18. Februar 2021 exklusiv auf Sky Cinema zeigen und der Film wird mit dem Streaming Dienst Sky Ticket ab 18. Februar 2021 auf Abruf verfügbar sein. Der Medienmitteilung von Sky kann man unter anderem entnehmen, dass die Warner Titel «The Little Things» und «Judas and The Black Messiah» bereits 28 Tage nach dem Kinostart bei Sky starten. «Mit allen deutschen Filmfans sehnen wir eine baldige Wiedereröffnung der hiesigen Kinos herbei», eine sarkastische Äusserung des Sky-Chefs von Deutschland.

 

Was meint die Kinobranche in der Schweiz?

 

Es herrscht Einigkeit bezüglich der Kinosituation in der Schweiz: Katastrophal. Edna Epelbaum, Präsidentin des Schweizerischen Kinoverbandes, «glaubt mit aller Kraft an eine Zukunft nach der Pandemie» (Zitat SonntagsBlick vom 14. Februar 2021). Sie vertritt die Meinung das Kino habe wegen seiner Brückenbauer Rolle zwischen Kultur und Wirtschaft bisher jede Krise überwunden und sich immer neu erfunden. Philippe Täschler, CEO der

100 % Swisscom Tochter Kitag resp. jetzt Blue Cinema ist gemäss SonntagsBlick der Meinung, es genüge nicht mehr «nur reines Kino zu machen» und «ohne Kino ist es nicht möglich, in der ganzen Wertschöpfungskette optimale Umsätze zu generieren.» Die erfolgreiche und hochgeschätzte Produzentin Ruth Waldburger sagt zu Sonntagblick: «In der Filmbranche muss man optimistisch bleiben, sonst schafft man es nicht lange.» und fügt bei, Aufgeben komme nicht infrage.

 

Die Kinobranche in der Agonie ?

 

Die Kinobranche war bereits vor der Pandemie im Krisenstand. Die wenigen jährlichen Top-Filme entscheiden, ob es ein gutes oder schlechtes Kinojahr ist. In den letzten Jahren sind Topfilme zur Mangelware geworden. Erlebten die Schweizer Kinos im 2015 im Vergleich zum Vorjahr noch einen BesucherInnen Zuwachs von 11,6 % auf 14'778'757 verzeichnete man im 2016 im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 7.07 % auf 13'733'836 BesucherInnen. Im Jahre 2019 sanken die BesucherInnen Zahlen auf 12'865'531 um im Pandemiejahr 2020 rund 70 %! einzubrechen. Für diejenigen die jetzt noch die Augen verschliessen, wird es ein böses Erwachen geben. Denkinstitutionen für Neuerungen fehlen, die Verbände versuchen bestenfalls mit PR-Firmen ihre Hilf- und Ideenlosigkeit zu verdecken, obwohl Procinema, den Kinogutscheinen für die ganze Schweiz sei Dank, auf einem Millionenbetrag sitzt. Niemand wagt das Streamingproblem anzugehen, vielleicht auch weil man schon Einiges verschlafen hat. Der Auswertungsschutz für die Kinos im Verhältnis zu anderen Nutzern verringert sich seit geraumer Zeit. Von Produktions- und Verleihseite wurde früher die Gefahr von Piraterie mit Raubkopien ins Feld geführt und deshalb eine schnelle Auswertung gefordert.

 

 

 

 

 

Interessanterweise wird derzeit das Piraterieproblem kaum mehr in die Waagschale geworfen, obwohl mit der frühen Screamingnutzung illegales Kopieren in bester Qualität möglich ist, kein Vergleich zu Raubkopien die in Kinos widerrechtlich erstellt wurden.

Die amerikanischen Top-Firmen allen voran Warner Bros. und Disney, die vor kurzem auch die 20th Century Fox und damit eine riesige Filmlibrary übernommen hat, setzen auf ihre eigenen Streaming Dienste. Wen wundert’s, für Disney+ läuft zurzeit eine gigantische Werbekampagne in der Schweiz und es ist nur eine Frage der Zeit bis Warner Bros. die hauseigene Streaming-Plattform HBO Max in die Schweiz bringt. Man will das Feld ja nicht Netflix kampflos überlassen. Das Streaming Unheil zeichnet sich für die Kinobranche nicht erst seit der Pandemie ab, aber es hat sich verschärft und vor allem beschleunigt. Der Gegner ist in Sichtnähe, aber es besteht keine Verteidigungsstrategie. Jetzt besinnt man sich auf eine urschweizerische Lösung und weist darauf hin, dass Produktion, Verleih und Kino im gleichen Boot sitzen und hofft auf eine gemeinschaftliche Lösung. Diese wird es aber ohne Kampf nicht geben, solange der Gegner übermächtig ist. Was auf die Kinos zukommt, zeigt Disney bereits heute. Den Kinos wurde von The Walt Disney Company (Switzerland) GmbH kürzlich mitgeteilt, der auf den Starttermin 4. März 2021 angesetzte Film «Raya und der letzte Drache» sei in der Schweiz gleichzeitig mit dem Kinostart über das Streamingangebot erhältlich. Aller Voraussicht nach im Prime Angebot d.h. mit einem Zuschlag zum Streaming-Abo. Wie sieht es in einem solchen Fall mit den Konditionen für die Kinos aus? Eine matchentscheidende Frage für das Überleben der Kinos. Die Rückantwort von The Walt Disney Company (Schweiz) GmbH erschreckend: Die Konditionen für die Kinos seien bei einem gleichzeitigen Streaming-Start gleich wie bei einem Exclusivstart und für die ganze Schweiz gültig und nicht verhandelbar. Dies zeigt eindeutig, dass man das Kino in einen agonieähnlichen Zustand versetzt. Die Pandemie hat gezeigt es geht zumindest kurzfristig ohne das Kino, aber man hat Angst den Todesstoss zu versetzen und man wählt die Aushungerungsmethode. Diese Machtdemonstration kann man sich in einer Pandemiezeit erlauben. Die Kinobranche ist politisch von untergeordneter Bedeutung. Eine Branche mit einem Jahresumsatz in der Schweiz von nicht einmal mehr 150 Millionen Franken ist Peanuts. Somit gilt ganz einfach das Gesetz des Stärkeren und die Macht des Geldes. Lassen wir uns das bieten? Ich kann und will mir keine Schweiz mit ganzen Regionen ohne Kinos vorstellen. Ohne Kinos die von Gewerbetreibenden geführt werden und nicht von Industrielakaien die den Kinofilm als Ware und nicht als Kulturgut betrachten. Es ist höchste Zeit die Schockstarre zu beenden um das Überleben der Kinos zu ermöglichen.

 

Demnächst weiter in Newsletter 4

 

Zum Schluss wie zu Beginn eine Reprise von Newsletter 1:

 

 

Für die Kinos gilt, wie für alle Leidtragenden der Pandemie: Kopf hoch und durch. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Beherzigen wir, was Pedro Almodovar gesagt hat:

 

«Das Kino kann die Leere und Einsamkeit in deinem Leben ausfüllen»

 

Emil Anton Räber

Mitte Februar 2021