Lockdown Kino-Newsletter 2021 Nr. 4

12.03.2021

«Es gibt nichts Besseres als ins Kino zu gehen, dabei eine andere Welt zu betreten und alles zu vergessen, was draussen passiert» Warwick Davies

Kino Quo Vadis ?

Obwohl Fachgutachten über Covid-19 Ansteckungen im Zusammenhang mit Aerosolpartikeln zum Schluss kommen, dass das Risiko einer Ansteckung im Kino äusserst gering ist, bleiben die Kinos geschlossen (Ein Beispiel für viele: Fachgutachten des Hermann Rietschel Instituts, Berlin). (http://dx.doi.org/10.14279/depositonce-11387)

Bekanntlich wird im Kinosaal nicht gesprochen wie in einem Büro und die auferlegten Schutzmassnahmen können vollumfänglich eingehalten werden. Wird im Kino eine Maske getragen und ein Abstand von zwei Metern eingehalten, ist das Ansteckungsrisiko gleich Null. Dennoch bleiben die Kinos geschlossen, während Bibliotheken und Museen offen sind. Netflix, Sky, Disney + und wie sie alle heissen, melden Rekordzahlen von Neuabonnenten, während die Solothurner Filmtage und die Berlinale digital durchgeführt werden. Disney+ CEO Bob Chapek meldet soeben der Disney+ Kanal habe 16 Monate nach dem Launch die magische Marke von 100 Millionen zahlenden Abonnenten erreicht. Der grosse Streaming Rivale Netflix setzte seinerseits im Januar mit über 200 Millionen zahlenden Abonnenten ein Ausrufezeichen. Das Verhalten der potentiellen Kinogänger*innen hat sich zwangsangepasst: Man bleibt Zuhause und konsumiert die Filme im Pantoffelkino. Trotz abgeschlossener Streaming-Abos bleibt die Hoffnung, dass die Sehnsucht der Leute auf Tapetenwechsel und gemeinsames Erleben von Emotionen nach der Wiedereröffnung der Kinos zu einem raschen Anstieg der Anzahl Kinobesucher*innen führt. Der Frühling naht, die Uhren werden umgestellt und Restaurants und Biergärten werden offen sein. Aspekte die gut für das Gemüt und dringend nötig, aber nicht gut für das Kino sind. Wird die Angst vor Ansteckung trotz Impfungen und Schutzmassnahmen die Leute von einem Kinobesuch abhalten? Werden Open Air Kino Vorführungen möglich sein? Mit oder ohne Reglementierung der Anzahl Eintritte? Fragen über Fragen, aber keine Planungssicherheit, weil die Antworten fehlen.

Wie sieht die Zukunft des Kinos aus? 20 Min publiziert am 10.03.2021 ein Bericht mit dem Titel «Kommt jetzt das grosse Kinosterben» und am gleichen Tag wird ein Artikel mit dem Titel «Das Frosch zeigt keine Filme mehr» veröffentlicht. Lapidarer Text dazu: «Nach einem Jahr Corona gibt die Kette Blue Cinema das Kino (Frosch) im Niederdorf endgültig auf». Bekanntlich handelt es sich bei der Blue Cinema Kette um eine 100 %ige Tochter des Staatsbetriebs Swisscom, der in City West trotz Pandemie ein Multiplex Kino erstellt.

Das Göteborg Film Festival erstellt jährlich den Nostradamus Report und macht sich darin Gedanken zur Zukunft des Kinos. Der Nostradamus Report 2021 gibt Anlass zu Hoffnung auch wenn festgestellt wird, dass die Pandemie die Filmbranche in den nächsten zwei bis drei Jahren beeinflussen wird. Aber was Hoffnung gibt: Alone or together, film is community.

Das Kino ist nicht am Sterben, sondern im Wandel

Der Erasmus Report kommt zum Schluss das in fünf Jahren weniger Kinos nach dem heutigen Modell arbeiten, aber gut wirtschaften werden mit einem gehobenen Angebot. Infolge von Pandemieschliessungen werde es erschwingliche Kino-Immobilien geben mit den Möglichkeiten für experimentelle Vorführungen. Gemäss dem Erasmus Report wird die Kinovorführung als dynamischer und einflussreicher Teil der Filmkultur wiederbelebt werden.

Die Pandemie hat strukturelle Änderungen die bereits im Gange waren beschleunigt. Innovative Verleiher haben zum Beispiel nach der bezahlten Streaming Vorführung Protagonisten digital zugeschaltet. So konnten die Filmnutzer*innen mit Regisseur*innen, Schauspieler*innen oder anderen Autoren des Films diskutieren. Das Kino wurde an den Einnahmen beteiligt. Diese Entwicklung wird weitergehen, muss aber auch wirtschaftlich abgedeckt werden.

Es ist höchste Zeit die Filmförderung zeitgemäss zu gestalten. Das wird eine echte Herausforderung, weil allgemein bekannt ist, dass die heutigen Grossbezüger der Filmförderungsgelder ihren Garten wohl behüten und politisch einflussreich sind. Die Zeiten als es genügte, wenn die Mitglieder der Filmkommissionen, auf kantonaler- und Bundesebene, Filmschaffende mit Awards beglückten, sind vorbei. Auch kommt die Filmförderung nicht an der Nachhaltigkeitsfrage vorbei. Es wird wichtig sein ein Filmförderungsgesetz auszuarbeiten in welchem aufgezeigt wird, wie man Filmproduktionen und Festivals verändern kann, damit Emissionen verringert werden. Neue Mechanismen sind gefordert, neue Gesetze, die, wie in gewissen Ländern bereits üblich, die grossen Streaming Kanäle wie Netflix, Sky oder Disney+ zur Kasse bitten. Entscheidend wird auch sein, wie die neuen Auswertungsfenster festgelegt werden und dabei ist nicht nur das Kino-Auswertungsfenster gemeint, sondern alle Fenster d.h. wann kommt eine DVD auf den Markt, wann kommt der Film im Free TV, falls es das überhaupt noch geben wird und vor allem ab wann kann die bezahlte Filmmiete von Zuhause abgerufen werden. Die grossen Kinoketten werden durch Zusatznutzungen in ihren Sälen (Produkte Präsentationen, Seminare und Übertragungen von Grossveranstaltungen, sei es im Musik- oder Sportbereich), erhebliche Einnahmen generieren. Die gewerblich geführten Kinobetriebe werden sich auf dem Auswertungsbereich spezialisieren und ein wertvolles Bindeglied zwischen Kommerz und Kultur bleiben. Es bleibt zu hoffen, dass die Einzelkinos aus den Erfahrungen der Pandemie ihre Widerstandsfähigkeit und Effizienz erhöhen. Synergien müssen besser genutzt werden. Geschäfts- und Arbeitsabläufe müssen angepasst werden und die Zusammenarbeit aller am Film Beteiligten muss verbessert werden. Das Angebot muss an die Bedürfnisse des Publikums angepasst werden und die unter 25jährigen müssen ins Kino zurückgeholt werden. Dazu müssen auch die Schulen mithelfen mit frühem Medienunterricht, mit dazu ausgebildeten Lehrkräften und vor allem mit vorbereiteten thematisierten Kinobesuchen und Nachbesprechungen. Es genügt nicht an den letzten Schultagen vor den Ferien den Schüler*innen im Schulzimmer Wunsch-DVDs zu zeigen. «Der Film ist die Kunst des Sehens» (Bela Balazs) und das muss vermittelt werden.

Summa summarum: Noch ist nichts in Stein gemeisselt und wir haben Einfluss auf das Ergebnis. Deshalb der Aufruf «Geht ins Kino» sobald es wieder offen ist. Nehmt die Familie, Freunde und Bekannte mit und macht Mundpropaganda fürs Kino, damit es überlebt.

Zum Schluss wie zu Beginn eine Reprise von Newsletter 1:

Für die Kinos gilt, wie für alle Leidtragenden der Pandemie: Kopf hoch und durch. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Beherzigen wir, was Pedro Almodovar gesagt hat:

«Das Kino kann die Leere und Einsamkeit in deinem Leben ausfüllen»

 

Emil Anton Räber

März 2021